Erscheint am 27. Februar 2025
»Hatte ich frei, bin ich zum Fluss gegangen, zur Schleuse, die jedes Boot passieren muss. Ich stand dort und sah zu, wie die Boote sich langsam näherten, Schleusentore sich öffneten und wieder schlossen. Genauso fühlte ich mich. Wie ein Boot in diesem Zwischenraum, ein Boot, das nicht weiter kann und nicht zurück, weil sich die Tore auf keiner Seite öffnen. Schleusen mögen ein schönes Bild sein, von Aufbruch und einer weiten Welt, all die Abenteuer, die vor einem liegen, aber wenn man zwischen ihnen steckt, ist es ein furchtbarer Ort. Du möchtest nach vorn, du möchtest es wirklich und tust alles dafür, oder wenigstens wieder zurück, noch einmal zu den anderen Booten gehören. Aber stattdessen steckst du in diesem viel zu engen Zwischenraum fest und siehst allen anderen zu, wie sie mühelos den Übergang schaffen.«
»Was ist richtig und was ist falsch? Die richtige Seite ist, wenn ich weiß, jetzt ist es gut. Es wird nicht immer alles gut werden. Aber manchmal schon. Spatzen zwitschern nicht. Was hat das damit zu tun? Du hast mich gerade Spatz genannt, ich mag das nicht. Ich weiß. Bei einem Spatzen kann von Zwitschern keine Rede sein, mir ist die Amsel lieber. Ich weiß. Margit? Ja. Ich hatte in letzter Zeit eigenartige Erlebnisse mit Vögeln, sei mir nicht böse, aber ich möchte eine Weile nichts mit ihnen zu tun haben. Ich dachte, es geht darum, was ich sagen würde. Ja, nur darum, aber lassen wir die Vögel weg.«
»Der Sohn zeichnet einen neuen Strich. Er verwendet zu viel Haarspray, denkt Maria, seine Haare sind verklebt. Sehen Sie, Frau Maria, das ist Ihr Leben, da ist noch viel Platz bis zum Ende, wie alt sind Sie, siebenundvierzig, sehen Sie, Sie stehen hier, sagt er und zieht einen senkrechten Strich. Sie haben noch viele Jahre vor sich, freuen Sie sich, es ist nicht selbstverständlich, in diesem Alter noch die Möglichkeit zu bekommen, sein Leben neu zu gestalten. Sehen Sie es positiv, sagt Herrn Willerts Sohn, Sie haben jetzt die Freiheit, von vorn zu beginnen.«
»Kavka schüttelt sich und nimmt ihren Platz neben dem Grabstein ein, wo sie abwartet, dass Hermine die Arbeit am Grab beendet. Mit schief gelegtem Kopf verfolgt sie, wie Hermine ein Loch an der gegenüberliegenden Ecke gräbt, die Strauchtomatenpflanze aus der Tasche nimmt und den Wurzelstock in die Erde steckt. Die Blätter zittern dabei. Hermine steht der Hündin gegenüber und betrachtet die Pflanze. Sie stellt die Kirschtomate daneben und zieht das Tomatenpflänzchen aus seinem Plastikübertopf. Hermine lockert die Wurzelballen. Sie mag den Gedanken, dass sie Tomaten essen wird, die auf Hermann gewachsen sind.«